Myofunktionelle Störung

Was ist eine myofunktionelle Störung ?

Die Zunge ist ein wichtiges „Organ“ des Menschen in der Mundhöhle. Ihre primäre Funktion besteht im Bewegungsmuster in der oralen Phase des Schluckaktes. Die Sekundärfunktion besteht in den Bewegungskompetenzen für die Laut- und Lautverbindungsbildung.
Bei der myofunktionellen Störung handelt es sich um ein Muskelungleichgewicht im Mund-Gesichtsbereich. Betroffen sind dabei die am Schlucken beteiligten Strukturen wie Lippe, Zunge und Wangen. Durch das Muskelungleichgewicht dieser Strukturen können Einschränkungen in der Bewegungs- und Koordinationsfunktion entstehen, was sich meist in einem fehlerhaften Schluckmuster äußert.
Durch ein falsches Bewegungsmuster von Lippen und Zunge beim Schlucken, drückt die Zunge fälschlicherweise nach vorne oder zwischen die Zähne. (wir schlucken täglich ca. 1000- 2000 x pro Tag). Über diesen Zeitraum zusammengerechnet, drückt unsere Zunge in 24 Stunden mit der Kraft eines Elefanten (von ca. 4 Tonnen) gegen oder zwischen die Zähne.
Ebenso kann ein Ungleichgewicht der Muskeln im Mundbereich bewirken, dass die Zunge und die Lippen die physiologische Zungenruhelage oder geschlossene Mundhaltung nicht einhalten kann.

Folgende Symptome können im Rahmen einer myofunktionellen orofazialen Störung auftreten:

  • Inkompletter Mundschluss
  • Mundatmung
  • vermehrter Speichelfluss
  • eingeschränkte Zungenbeweglichkeit
  • unphysiologische Zungenruhelage
  • Vorverlagerung der Zunge beim Sprechen
  • Unharmonische Muskelbalance im Mund-, Gesichts-, und Halsbereich
  • Zungenvorstoß

Mögliche Ursachen:

  • Ungünstige Einflüsse während der Entwicklungsphase des werdenden Lebens können die Muskulatur sowie die Koordinationsfähigkeit von Zunge, Lippen, Gesicht- und Körpermuskulatur auswirken.
  • Kurzzeitiger Sauerstoffmangel während der Geburt (z.B. Nabelschnur um den Hals geschlungen)
  • Genetische Anlagen
    Syndrome wie Down-Syndrom, Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalte u.a.
  • Wenig Bewegungsanregung
  • Säuglings/Kleinkindernährung (z.B. ungünstige Flaschensauger, oft zu weiche und süße Kost, Schnabeltasse/ flasche anstatt normale Tassen ) beeinflussen das falsche Schluckmuster, da das Kind seine Zunge immer da hin richtet wo etwas in den Mund hineinragt.
  • Lutschgewohnheiten (z.B. Daumenlutschen, ungünstige Schnuller, zu lange Verwendung von Schnuller, Fingernägelkauen)

Indikation für eine begleitende Therapie:

Die möglichen Folgen neben einer gestörten Schluckentwicklung, können Zahnfehlstellungen, eine verwaschene Aussprache bis hin zu Aussprachestörungen sein.

  • Dysgnathien (Fehlentwicklungen der Kiefer und/oder des Kausystems)
  • falschem Schluckmuster
  • Zungenpressen
  • Mundatmung/offene Mundhaltung
  • Schnarchen
  • Kiefergelenkbeschwerden
  • Schluckproblemen aufgrund neurologischen Erkrankungen (Dysphagie)
  • Habits (orofazialen Dyskinesien, Gebiss schädigenden Angewohnheiten)
  • Sprachtherapie, so z. B. Sigmatismen (Lautfehlbildungen)
  • nach kieferorthopädischer Behandlung, um einem Rezidiv (Rückfall) vorzubeugen
  • Gesichtsschmerzsyndrom

Wie werden MFS festgestellt?

Zur Feststellung ob eine funktionelle Störung besteht, werden im Rahmen des Anamnesegesprächs, der bisherige Entwicklungsverlauf abgefragt. die mögliche Ursachen und aufrechterhaltende Faktoren wie Habits oder ungünstige Ernährung/Essgewohnheiten erhoben. Anschließend erfolgen die Lautüberprüfung sowie die Überprüfung des Zahnstatus und der Mundhöhle. Auch wird eine Funktionsüberprüfung der Beweglichkeit/Wahrnehmung und der am Schlucken beteiligten Muskeln durchgeführt. Der Schluckvorgang selbst wird mithilfe der „Payne-Technik“ (Ermittlung der Zungen-Kontaktstellen während des Schluckens mithilfe von fluoreszierender Farbe) und dem Einsatz von „Lippenhaltern“ klassifiziert.

Was bewirkt die Therapie:

Bei der myofunktionellen Therapie (MFT; Synonym: orofaziale Muskelfunktionstherapie) handelt es sich um eine unterstützende Therapieform in der Kieferorthopädie und der Artikulationstherapie. Durch Übungen der orofazialen Mund- und Gesichtsmuskulatur soll ein Muskelgleichgewicht von Kau-, Zungen-, Lippen- und Wangenmuskulatur erreicht werden, um dadurch im Idealfall eine Korrektur von Zahnstellungs-, Bisslage- Kieferanomalien und Artikulationsauffälligkeiten zu bewirken oder günstig zu beeinflussen.
Verschiedene Übungen zur Förderung einer harmonischen Muskelfunktion im orofazialen System fördern unterschiedliche Muskelgruppen, die an den Funktionen Kauen, Schlucken, Artikulation und Atmung beteiligt sind. Das Training z.B. nach Kittel oder Padovan wird schrittweise aufgebaut und muss zu Hause regelmäßig durchgeführt werden, um einen positiven Verlauf zu gewährleisten. Die Eltern spielen eine sehr wichtige Rolle denn sie müssen die Therapie durch ständiges behutsames Erinnern und positive Verstärkung begleiten.

Schwerpunkte der Behandlung:

Im Zentrum der MFT steht das Bewusstmachen, Eintrainieren und Automatisieren eines korrekten Schluckmusters, des weiteren:

  • Umstellung von Mund- auf Nasenatmung
  • Abstellen von Habits (schädigenden Angewohnheiten) wie Lutschen, Wangen- oder Lippenbeißen, -saugen oder -kauen, Zungenpressen
  • Verbesserung der Ess- und Schluckfunktion
  • Fördern der oralen Sensibilität und Wahrnehmungsfähigkeit
  • Verbessern der oralen Motorik
  • Anbahnen der richtigen Artikulation
  • spezielles Schlucktraining und Automatisierung des somatischen Schluckens, bei dem die Zunge dem Gaumendach angelagert wird
  • Artikulationsübungen
  • Übungen zur Normalisierung des Lippentonus (Lippenspannung)
  • Hinwirken auf einen harmonischen Muskeltonus des gesamten Körpers
  • Atemübungen

Auch das Einsetzen einer Mundvorhofplatte (MVP) oder des Lippen- wangen- zungen- Trainers (LWZ-Trainer) kann in der myofunktionellen Therapie zum Tragen kommen, da auch sie Einfluss auf bestimmte Muskelgruppen nimmt:

  • Steigerung des Lippentonus bei Mundatmung
  • Positive Beeinflussung des Schluckvorgang und Förderung des Muskeltonus
  • Positive Beeinflussung des Zungendruck bei falschem Schluckmuster, sowie Zungenposition beim Schlucken zu verbessern.

Die Therapie wird vorwiegend bei Kindern eingesetzt. Der Zeitpunkt ist abhängig von der Indikation und vom sprachlichen Status. Ganz individuell angepasst bringt die „frühe Therapie, bereits im Kleinkindalter wie auch bei Menschen mit Handicap, Erfolg wie z.B. bei Hypersalivation (vermehrter Speichelfluss). Bei Erwachsenen kommt die begleitende MFT häufig bei Rezidivbehandlungen zum Einsatz, wenn eine Funktionsstörung Ursache des Rezidivs ist.Da der Schweregrad im Bereich der myofunktionellen Störung bei jedem Kind unterschiedlich ist, kann die Gesamtdauer der Therapie nur sehr pauschal mit 10 bis 30 Behandlungen angesetzt werden.

Was können Eltern beim Verdacht auf eine Funktionelle orofaciale Störung tun?

Eltern die bei ihren Kindern die obengenannten Symptome beobachten und sich Sorgen um die weitere Mund- und Kieferentwicklung machen, sollten den Kinderarzt, Kieferorthopäden, Hals-Nasen-Ohrenarzt oder Phoniater aufsuchen. Diese beraten sie über das weitere Vorgehen und überweisen sie an die jeweiligen Fachdisziplinen. Dort erhalten sie eine ausführliche Diagnostik für eine begleitende Therapie zur Verbesserung weiteren Kiefer- und Mundentwicklung.